Am Horizont ferner Erinnerungswelten
lebt sie noch immer, so als sei es erst gestern gewesen
die junge Frau
im keuchend Wälder durchbrechenden Dampfzug,
das Gesicht gegen die Scheiben gepresst,
mit den Ohren weit den Raum hinter sich ertastend -
in wachsamer Aufmerksamkeit.
Auf ihrem Rücken, gut versteckt hinter dichter Bluse
ein braunes Kuvert, einen kleinen Rucksack darüber;
Lagepläne der Wolfsschanze reisen
als Kassiber durch das Land,
unter den Augen der Geheimen Staatspolizei hindurch,
wird sie es schaffen -
sie hat Mut.
Da, ein Pfeifen und Qualmen,
der Zug hält mitten im Wald,
schwarz Uniformierte huschen aus dem Gebüsch hervor,
entern gleich Pantern
den letzten Wagen des Zuges,
verschwinden im Abteil -
Geheime Staatspolizei, die Ausweise bitte.
Die junge Frau steht auf,
geht langsam nach vorne,
quert lächelnd die offenen Übergänge
mehrerer Wagons, betritt den Gepäckwagen;
der Schaffner dort, über sein Pult gebeugt, blickt auf,
sie schaut auf ihr Fahrrad -
eine endlos erscheinende Minute des Schweigens, er versteht.
In einer engen Kurve, als der Zug langsamer fährt,
öffnet er die Schiebetür, packt das Fahrrad
und wirft es eine Böschung hinunter,
sie, obwohl ungeübt in derlei Belangen,
springt hinterher, überschlägt sich mehrfach,
steht auf, wie durch ein Wunder unverletzt -
reisst ihr Fahrrad hoch und verschwindet in den Wäldern.
Das Nahen tief fliegender Flugzeuge,
Maschinengewehrfeuer auf den Zug decken ihre Flucht,
die Geheime Staatspolizei, die Menschen im Zug
laufen springen um ihr Leben, niemand sieht sie;
eine Stunde später steckt der Kassiber in einem Mauerschlitz,
der nächste Bote, ein Mann, stutzt -
eine so junge Frau, sie geht lächelnd ihrer Wege.
© Bernhard Albrecht Hartmann, 24.04.2013
Im Gedenken an den Widerstand in Deutschland vor 70 Jahren,
nach einer wahren Begebenheit.
Inspiriert durch die Kurzgeschichte: "Die Wolfsschanze"
von Gabriele Brunsch, eingestellt auf ladyart.blogspot.com am 31.01.2011
Seiner Berufung wird ein literarisch arbeitender Mensch dann gerecht, wenn er durch sein Wortschaffen Wege der Entwicklung für den Menschen eröffnet. Das Wort D-ich-tung spricht es deutlich aus. Es geht um das Ich, um einen Weg der Authentizität in Bezug auf das eigene dichterische Tun. Diesen Weg zeichnete einst schon Aristoteles in seiner Poetik vor. Aus geistesgegenwärtiger Präsenz im Gespräch unter Autoren diesen Weg erneut frei zu legen, dazu will dieser Blog ein Forum sein.
Mittwoch, 24. April 2013
Der stille Mut
Die immer neue Herausforderung: Im Gespräch mit dem Du sich finden im Ich. Dichtung, ein Weg der Verdichtung auf das Ich hin, Erwachen zu sich selbst in Ich-Verantwortung. Das Du wird dem innerlich wachen Beobachter auf diese Weise zu einer Quelle eigener Entwicklung und darüber hinaus auch eine mögliche Quelle literarischer Inspiration.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ich freue mich über jeden Kommentar, der sachlich und wertschätzend geschrieben unter Deinem tatsächlichen Namen hier eingestellt wird und werde diese Kommentare baldmöglichst freischalten. baH.