Mittwoch, 24. April 2013

Der stille Mut

                Am Horizont ferner Erinnerungswelten
                lebt sie noch immer, so als sei es erst gestern gewesen
                die junge Frau
                im keuchend Wälder durchbrechenden Dampfzug,
                das Gesicht gegen die Scheiben gepresst,
                mit den Ohren weit den Raum hinter sich ertastend -
                in wachsamer Aufmerksamkeit.

                Auf ihrem Rücken, gut versteckt hinter dichter Bluse
                ein braunes Kuvert, einen kleinen Rucksack darüber;
                Lagepläne der Wolfsschanze reisen
                als Kassiber durch das Land,
                unter den Augen der Geheimen Staatspolizei hindurch,
                wird sie es schaffen -
                sie hat Mut.

                Da, ein Pfeifen und Qualmen,
                der Zug hält mitten im Wald,
                schwarz Uniformierte huschen aus dem Gebüsch hervor,
                entern gleich Pantern
                den letzten Wagen des Zuges,
                verschwinden im Abteil -
                Geheime Staatspolizei, die Ausweise bitte.

                Die junge Frau steht auf,
                geht langsam nach vorne,
                quert lächelnd die offenen Übergänge
                mehrerer Wagons, betritt den Gepäckwagen;
                der Schaffner dort, über sein Pult gebeugt, blickt auf,
                sie schaut auf ihr Fahrrad -
                eine endlos erscheinende Minute des Schweigens, er versteht.

                In einer engen Kurve, als der Zug langsamer fährt,
                öffnet er die Schiebetür, packt das Fahrrad
                und wirft es eine Böschung  hinunter,
                sie, obwohl ungeübt in derlei Belangen,
                springt hinterher, überschlägt sich mehrfach,
                steht auf, wie durch ein Wunder unverletzt -
                reisst ihr Fahrrad hoch und verschwindet in den Wäldern.

                Das Nahen tief fliegender Flugzeuge,
                Maschinengewehrfeuer auf den Zug decken ihre Flucht,
                die Geheime Staatspolizei, die Menschen im Zug
                laufen springen um ihr Leben, niemand sieht sie;
                eine Stunde später steckt der Kassiber in einem Mauerschlitz,
                der nächste Bote, ein Mann, stutzt -
                eine so junge Frau, sie geht lächelnd ihrer Wege.

                © Bernhard Albrecht Hartmann, 24.04.2013
                Im Gedenken an den Widerstand in Deutschland vor 70 Jahren,
                nach einer wahren Begebenheit.
                Inspiriert durch die Kurzgeschichte: "Die Wolfsschanze"
                von Gabriele Brunsch, eingestellt auf ladyart.blogspot.com am 31.01.2011

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