Mittwoch, 24. April 2013

Springender Funke

                Ein belebter Platz in einer deutschen Grossstadt,
                rauschender Verkehr, Hupen,
                eine fortdauernd zitternde Luftwelle
                über dem Rondell, umrundet von herrschaftlichen Häusern;
                eine junge Frau mit zwei spielenden Kindern vor sich
                sitzt am Brunnen, ein älterer Mann tritt an sie heran,
                klopft ihr auf die Schulter und fragt sie verlegen -

                Sind sie nicht jene Frau mit dem Fahrrad
                im Zug vor neun Jahren,
                auf der Flucht vor der Geheimen Staatspolizei;
                sie schaut ihn forschend an,
                ein Erkennen blitzt durch ihre Augen,
                erfreut, setzt er sich neben sie auf den Brunnenrand,
                ich muss ihnen etwas erzählen -

                Bis zu jenem Tag,
                als sie mich wie ein alarmiertes Reh anschauten,
                steckte ich meinen Kopf in den Sand
                und stellte mich wissend blind
                für alles, was um mich geschah;
                ihr Mut
                hat mich aufgeweckt -

                Was ich mit ihrem Fahrrad tat, geschah noch wie träumend,
                doch als ich das Maschinengewehrfeuer unverletzt überstand,
                da schwor ich dem diabolischen Treiben nicht mehr nur zuzuschauen,
                ich wollte aktiv eingreifen, die Augen nicht länger abwenden
                und fand bald eine Gelegenheit dazu;
                auf meinem Bauernhof versteckte ich eine jüdische Familie,
                Frau und Mann mit zwei Kindern in einem alten Kellergewölbe -
               
                Nacht für Nacht schlich ich heimlich hinaus,
                brachte Kleider, Brennholz oder etwas zum Essen
                auf verschlungenen Pfaden in die alte, stillgelegte Schmiede,
                deren Meister in Stalingrad gefallen;
                meine eigene Frau, die Kinder wussten nicht was ich tat,
                nur so konnte ich beide Familien
                vor den Gefahren eines unbedachtsamen Verrats schützen -

                Die Geheime Staatspolizei war auch auf meinem Hof,
                jemand musste ihr einen Verdacht zugesteckt haben,
                aber sie fand nichts, trotz umfassender Suche;
                von ihrem Mut muss ein Funke auf mich übergesprungen sein,
                ich begleitete die Männer der SS über das Gelände,
                in einer Ruhe, als würde ich Fahrkarten kontrollieren;
                die Familie lebt heute in Israel, letztes Jahr besuchte ich sie -

                © baH, 24.04.2013

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